editorial

Eine Spottdrossel mit Feder im Schnabel

Entgegen der Meinung gewisser Ornithologen, Spottdrosseln kämen nur in Amerika vor, gibt es die Spottvögel – wie so vieles andere aus jenem Land der unmöglichen Begrenztheiten – auch in unserem recht entlegenen Landstrich im Osten 1. Jene Subspezies der Ornithologen glaubt aber auch, so habe ich mir jüngst von einer äußerst gewissenhaften Kollegin sagen lassen, dass Vögel etwas mit Vögeln zu tun habe. Das sei aber nur am Rande erwähnt.

Nun, vielleicht fallen Spottvögel optisch nicht so sehr auf, weil sie kleiner sind als andere Vogelarten, wie etwa der Vogel Strauß, der ja hierzulande so gerne Politik macht. Dafür erkennt man die Spottvögel sofort an ihrer Tat. Die Aufgabe der Spottvögel ist es nämlich, vor allem die Gesänge anderer nachzuahmen – nicht nur anderer komischer Vögel, sondern sogar völlig artfremder Wesen. 2. In literarischen Begriffen ausgedrückt liegt das Wesen des Spottvogels also in der Parodie und den ihr verwandten Künsten. 3.

Mögen Euch die hier dargebotenen Spottgesänge erheitern! Vielleicht vermögen meine Gesänge ja sogar, gleichgesinnte Spottvögel anzulocken?

In diesem Sinne viel Spaß bei der Lektüre!

Die Spottdrossel


  1. das „-rîchi”, bzw. ahd. rîhhi in „Osstarrichi“ ist nämlich mitnichten als  Reich zu übersetzen, sondern schlicht mit Landstrich.
  2. Dann werden nicht bloß das Krähen des Hahnes, das Gackern der Hennen, das Schnattern der Gänse, das Quaken der Enten, das Miauen der Katze und das Bellen des Hundes, das Grunzen des Schweines nachgeahmt, sondern auch das Kreischen einer Thüre, das Quieken einer Wetterfahne, das Schnarren einer Säge, das Klappern einer Mühle und hundert andere Geräusche mit möglichster Treue wiedergegeben. Zuweilen bringt sie die Hausthiere in förmlichen Aufruhr. Sie pfeift dem schlafenden Hunde so täuschend nach Art des Herrn, daß jener eiligst aufspringt, um den Gebieter zu suchen, bringt Gluckhennen zur Verzweiflung, indem sie das Gekreisch eines geängstigten Küchleins bis zur Vollendung nachahmt, entsetzt das furchtsame Geflügel durch den wiedergegebenen Schrei des Raubvogels und täuscht den verliebten Kater, indem sie die zärtliche Einladung weiblicher Katzen getreulich wiederholt. Zitiert aus „Mimus Polyglottus“, Brehms Tierleben
  3. Die hier angewandte Kunst der Nachahmung hat allerdings nur bedingt mit dem aristotelischen Begriff der „mimesis“ zu tun