Von politisch inkorrekten Hexen und unverständlicher Wichse

Am 7. Jänner 2013 verkündete Klaus Willberg, der seit 2002 als Geschäftsführer des Thienemann Verlags agiert und dem damit unter anderem auch Otfried Preußlers Kinderbuchklassiker anvertraut sind, er wolle Die kleine Hexe bei der Neuauflage anlässlich des 90ers des Autors sprachlich überarbeiten lassen, um „veraltete und politisch nicht mehr korrekte Begrifflichkeiten“ zu beseitigen. Den 127 Lenzen meiner kleinen Kollegin selbst nicht mehr allzu fern, habe ich Spottvogel mich an solche Begrifflichkeiten natürlich nicht mehr so genau erinnern können und habe also brav nachgelesen – und fürwahr, mein Exemplar der kleinen Hexe aus der 58. Auflage strotzt nur so vor Political Incorrectness: Auf Seite 86 tummeln sich Negerlein, Eskimofrauen, Türken mit roten Mützen und weiten Pluderhosen und Chinesinnen. Das ist doch wirklich unerhört!Die Kleine Hexe, Seite 86

Dann gesellen sich gar ein Menschenfresser und ein Hottentottenhäuptling dazu. Und das im Rahmen einer Fastnachtsfeier unter Kindern! Der nackte Wahnsinn!

Und was diesen Menschen alles angetan wird! Da prasselte auf den Dorfplatz ein Regen von Fastnachtskrapfen und Pfannkuchen nieder, der von der bunten Schar munter verputzt wurde ! Wie entsetzlich! Diesem abgrundtiefen Treiben muss doch wirklich umgehend ein Ende gesetzt werden!

Eigenartigerweise fanden dieses Treiben nicht alle ganz so schlimm und ließen auf Herrn Willberg sogleich einen Regen von Beschwerdemails nieder. Dieser fühlte sich gleich einem Shitstorm ausgesetzt und raunzte herum, dass „99 Prozent dieser Mails nur Beschimpfungen enthalten und sich inhaltlich nicht mit der Sache auseinandergesetzt hätten“.

Ob es zur Correctness von Verlegern gehört, Worte wie Shitstorm in den Mund zu nehmen, überlassen wir einmal den Fastnachts-Advokaten. Viel wichtiger: Hat sich Herr Willberg überhaupt selbst inhaltlich mit der Sache auseinandergesetzt?

Offensichtlich nicht: Denn erstens gehörte es in den 50ern und noch lange danach geradezu zum guten Ton, sich bei Faschingsfeten als Negerlein, Chinesin oder gar als Hottentottenhäuptling zu verkleiden. Die Szene entspricht kulturgeschichtlich also dem damaligen Zeitgeist und der lässt sich nicht umgeschehen machen, indem man bei Kindergeschichten den euphemistischen Korrekturstift ansetzt. Diese Lektion sollten doch gerade die Deutschen mittlerweile gelernt haben!

Und was ist dann mit dem doch auch sehr verdächtigen Titel, Herr Willberg? Wenn wir Negerlein streichen, dann doch bitte schön auch gleich die Hexe, dient dieses Wort euch feinen Herren doch nicht primär zur Bezeichnung eines ehrbaren Berufes denn vielmehr als Synonym für „bösartiges Weib‟!

Noch weniger will mir einleuchten, was für den eifrigen Sprachpolizisten so unverständlich am Wort Schuhwichse ist. Selbst wenn das Wort für die jüngere Generation erläuterungsbedürftig ist: Gibt es etwa keine Eltern, die man fragen könnte? Oder gibt es keine Nachschlagewerke mehr?

Mir scheint, der liebe Herr Willberg befürchtet vielmehr, dass die zweite Wortkonstituente dieses ganz und gar verständlichen Wortes recht leicht mit dem Synonym für das Ergebnis der Lieblingsbeschäftigung übereifriger Sprachpolizisten verwechselt werden könnte!


Selbstverständlich soll man auch die Ansichten der anderen Seiten hören, allen voran diejenigen einer Betroffenen:

Ishemas Brief

Brief der neunjährigen Ishema Kane an die ZEIT.

 

 

 

 

 

 

 

… und auch die des Thienemann-Verlegers Klaus Willberg (Offener Brief samt Kommentaren; pdf).

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