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Die 3SAT-Sendung Kulturzeit am 5. Februar 2013 hatte einmal mehr höchsten Unterhaltungswert. Nach einem Beitrag zu den törichten Äußerungen heimischer Staatsanwälte zur Po-Grabscherei (in diesem Zusammenhang leuchtet wohl unmittelbar ein, warum man solche Advokaten nicht küssen soll) folgte der sensationelle Höhepunkt:

Heinos rockige Grüße: Wenn ein Volksmusiker plötzlich abrockt. Heino covert Songs von den Ärzten […]

Ha, ha, was für ein gelungener Faschingsscherz! Der Spaßvogel, der immer so blau ist vom Enzian, soll auf einmal Männer sind Schweine von sich geben, oder was? Indes meint es der alte Barde tatsächlich ernst: Er sei immer von den jungen Leuten ein bisschen gehänselt worden, jetzt wolle er ihnen aber allen mal zeigen, dass er auch das könne. Nun, für die Erkenntnis Männer sind Schweine hat es beim Schlagerbarden nicht gereicht, aber immerhin für eine Nachempfindung des Songs Junge und diese Coverversion scheint bei weitem erfolgreicher zu sein als das Original aus dem Jahr 2007, sodass die Kolumnisten in ihrer Einfalt den einstigen Schlagersänger schon als frisch auferstandenen Rockstar feiern.

Die Sache verhält sich natürlich ein bisschen anders: In ihrem banalen Song Junge waren Farin und seine noch immer nicht beurlaubten Altpunks, durchaus ihrem Alter entsprechend, in die Rolle durchschnittlicher Eltern geschlüpft, jene weit verbreitete Sorte, die ihre Kinder tadeln, doch eines der gängigen Rollenmodelle zu verinnerlichen („Guck‘ dir den Dieter an, der hat sogar ein Auto“), oder wenigstens um irgendeinen Job („Festanstellung“ in „Onkel Werners“ Werkstatt) zu betteln.

Wieso gerade dieser klassische Hartz IV-Aspirant auch für die Uni geeignet sein sollte („Es ist noch nicht zu spät dich an der Uni einzuschreiben“), leuchtet schon nicht mehr ein. Es sei denn, der artige Junge hat in der gründlichen deutschen Grundschule so gut abschreiben gelernt wie der Karl-Theodor zu Guttenberg oder die Annette Schavan.

Indes läuft aber der besungene Junge, einst ein „so ein süßes Kind“, viel lieber mit „Löchern in der Hose“ herum und hört ununterbrochen Musik („Und ständig dieser Lärm“) und das bereitet dem biederen Elternhaus natürlich immenses Kopfzerbrechen: Was sollen bloß die Nachbarn sagen?

Diese elterliche Bange ist uns freilich schon seit den 1960ern mit dem Aufkommen der Band The Who vertraut. Die meisten der Mitläufer jener My Generation haben nämlich ihr edles Versprechen, zu sterben bevor sie alt wurden, leider nicht eingelöst, sondern gehören ganz im Gegenteil seit geraumer Zeit just zu jenem Establishment, gegen das sie einst so eifrig rebelliert hatten. Dieser spaßige Effekt des Seitenwechsels vom Aufrührer zum Spießbürger, der übrigens gerne mit Erwachsen werden verwechselt wird, sorgt dafür, dass es seit den 1960ern mit jeder Generation erneut zum Konflikt zwischen den (noch) nicht dem System angepassten „Jungen“ und den einst jungen, nunmehr systemkonformen „Alten“ kommt. Denn die Leute meinen, dass sie denken, wenn sie doch nur dabei sind, ihre Vorurteile neu auszurichten, wusste schon William James.

Deshalb entbehrt es natürlich nicht einer gewissen, vielleicht sogar beabsichtigten Komik, wenn die ungefähr aus meiner Generation stammenden Ärzte in ihrem Text die Vorurteile der aktuellen Elterngeneration wiedergeben, dabei aber noch immer so wie in den frühen 1980ern klingen und dazu ein besonders scheußliches Video produzieren.

Vielleicht ist aber dem lieben Farin und seinen Urlaubsverweigerern auch nur schlicht entgangen, dass Gitarren und aufmüpfige Texte („Elektrische Gitarren und immer diese Texte“) gegenwärtig kaum mehr zu den Waffen der Jugendrebellion zählen, und den seinerzeit mit den Ärzten Aufgewachsenen, die ja mittlerweile ob ihrer Zivilisationsleiden richtige Ärzte aufsuchen müssen, elektrische Gitarren und immer diese Texte infolge der neu ausgerichteten Vorurteile höchst suspekt geworden sind. Deshalb fand der Song Junge nie so recht ein Publikum.

Da stieg nun wie einst der Deus ex Machina der gute alte Heino aus der Versenkung empor und ließ den Ärzte-Song derart umarrangieren, dass der Song nunmehr im Schlagerstil erklingt, auf den das brave deutsche Volk ja schon seit Generationen konditioniert worden ist. Dieser Kunstgriff hat die für die Masse unbedarfter Konsumenten so irritierende Inkongruenz zwischen Text und Musik so wirkungsvoll beseitigt, dass der Junge im Gewande des lupenreinen rechtschaffenen teutonischen Schunkelliedchens nun, gerade rechtzeitig zum Höhepunkt des heurigen Faschings, sogar die Charts zu stürmen droht.

Es war also nicht eine Metamorphose des Interpreten, sondern viel mehr eine des Songs selbst, die zu dessen späten Erfolg geführt hat. Es steht daher nicht zu befürchten, dass die braven deutschen Biederleute plötzlich einem neuen Rockstar huldigen oder gar zu lauter Rockrabauken mutieren. Das traute Ach, wie lieblich ist’s im Kreise trauter Biederleute! der Altvorderen hat noch immer Gültigkeit.

Wenn freilich am Aschermittwoch der vermeintliche Rockstar die verkaterten Philister mit Hier kommt die Sonne aus den Federn rüttelt, könnte so mancher vielleicht merken, dass es sich dabei gar nicht um eine misslungene Coverversion des harmlosen George Harrison Evergreens Here comes the Sun handelt, sondern doch eher um eine Neuauflage von der Sorte Uns geht die Sonne nicht unter.




 

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